Mini­mal-inva­si­ve Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken, Gelenk­aus­tausch per Com­pu­ter­na­vi­ga­ti­on: Neue Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken haben auch die Ortho­pä­di­sche Chir­ur­gie und Unfall­chir­ur­gie in wei­ten Berei­chen revo­lu­tio­niert. Das Ergeb­nis: 280’000 Wir­bel­säu­len­ope­ra­tio­nen und 400’000 Ope­ra­tio­nen zum Ein­satz von künst­li­chen Knie- und Hüft­ge­len­ken im ver­gan­ge­nen Jahr in Deutsch­land. Das ist Welt­re­kord im inter­na­tio­na­len Ver­gleich. Ortho­pä­den und Unfall­chir­ur­gen plä­die­ren jetzt für ein Umden­ken und eine Rück­be­sin­nung auf bewähr­te kon­ser­va­ti­ve Behand­lungs­me­tho­den zur Ver­mei­dung von chir­ur­gi­schen Ein­grif­fen. «Kon­ser­va­ti­ve The­ra­pien hel­fen selbst bei mas­si­ven Rücken­schmer­zen oft bes­ser als ein chir­ur­gi­scher Ein­griff», sag­te Pro­fes­sor Dr. Joa­chim Grif­ka, ärzt­li­cher Direk­tor des Ortho­pä­di­schen Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Bad Abbach und einer der Prä­si­den­ten der dies­jäh­ri­gen Jah­res­ta­gung des Ver­bands der Süd­deut­schen Ortho­pä­den und Unfall­chir­ur­gen (VSOU) in Baden-Baden.

Nicht jede Ver­let­zung müs­se ope­riert, nicht jede Arthro­se mit einem künst­li­chen Gelenk ver­sorgt wer­den. «Selbst bei Bän­der­ris­sen im Sprung- und Knie­ge­lenk kön­nen heu­te mit kon­ser­va­ti­ven The­ra­pien iden­tisch gute Ergeb­nis­se erreicht wer­den wie mit einer Ope­ra­ti­on», so Pro­fes­sor Dr. Ulrich Stöck­le, Lei­ter der Kli­nik für Unfall- und Wie­der­her­stel­lungs­chir­ur­gie Tübin­gen. Die sechs­wö­chi­ge Fixie­rung der Gelen­ke mit spe­zi­el­len beweg­li­chen Schie­nen sei hier eine wir­kungs­vol­le Alter­na­ti­ve zum chir­ur­gi­schen Eingriff.

Ähn­lich die Situa­ti­on bei Rücken­er­kran­kun­gen. «Bei Rücken­pro­ble­men kann selbst bei mas­si­ven Schmer­zen durch eine fort­schritt­li­che ortho­pä­di­sche Schmerz­the­ra­pie ohne eine Ope­ra­ti­on wir­kungs­voll gehol­fen wer­den», so Pro­fes­sor Dr. Grif­ka. Das gel­te auch für schwer­wie­gen­de Rücken­er­kran­kun­gen, bei denen frü­her ein ope­ra­ti­ver Ein­griff obli­ga­to­risch war. Im Zuge die­ser kon­ser­va­ti­ven The­ra­pien wür­den etwa bei Band­schei­ben­vor­fäl­len aus­tre­ten­de Ner­ven mit geziel­ten Injek­tio­nen ruhig­ge­stellt. Die Erfolgs­ra­te die­ser mini­mal-inva­si­ven Behand­lungs­me­tho­de liegt selbst bei schein­bar ope­ra­ti­ons­be­dürf­ti­gen Ver­än­de­run­gen bei mehr als 80 Prozent.

Deutsch­land: In der Ortho­pä­die­tech­nik welt­weit führend
In der Ortho­pä­die sind kon­ser­va­ti­ve Behand­lun­gen mit ortho­pä­die­tech­ni­schen Mit­teln, also mit Ban­da­gen, Schie­nen und Ein­la­gen, seit Jahr­zehn­ten eta­bliert. Deut­sche Her­stel­ler die­ser Pro­duk­te, zu denen auch High-Tech-Pro­the­sen für Para­lym­pics-Teil­neh­men­de zäh­len, sind welt­weit füh­rend. Im All­tag der ortho­pä­di­schen Kli­ni­ken pro­fi­tie­ren davon Kin­der mit Wachs­tums­stö­run­gen eben­so wie Pati­en­ten mit alters­be­ding­tem Gelenk­ver­schleiss. Die Bedeu­tung der Ortho­pä­die-Tech­nik bei der Behand­lung wird unge­ach­tet aller Fort­schrit­te im Ope­ra­ti­ons­saal wie­der stei­gen. Grif­ka ver­weist dabei auf eine aktu­el­le Ent­schei­dung der Kran­ken­kas­sen, mini­mal-inva­si­ve ope­ra­ti­ve Ein­grif­fe bei Knie­ar­thro­se künf­tig nicht mehr zu bezahlen.

Trai­ning statt arthro­sko­pi­sche Operationen
Unge­fähr eine Mil­lio­nen Men­schen lei­den in der Schweiz unter Arthro­se-Beschwer­den. Arthro­sko­pi­sche Ope­ra­tio­nen waren bis­her eine Schlüs­sel­the­ra­pie, um Betrof­fe­nen ohne die Belas­tung eines gros­sen chir­ur­gi­schen Ein­griffs zu hel­fen. Nach­dem die­se Ein­grif­fe künf­tig kei­ne Kas­sen­leis­tung mehr sind, kommt kon­ser­va­ti­ven The­ra­pien wie Käl­te­an­wen­dun­gen, abschwel­len­de Medi­ka­men­te und auch Mus­kel­trai­ning wie­der eine wach­sen­de Bedeu­tung zu. Auch die Pati­en­ten wür­den durch die­se Trend­wen­de hin zu sanf­ten The­ra­pien wie­der stär­ker gefor­dert. Die Her­aus­ge­ber von Rat­ge­ber­bü­chern wie «Die Knie­schu­le» oder «Die Gelenk­schu­le» mel­den stei­gen­de Auf­la­gen. Der neue Kurs der Kran­ken­kas­sen weist auch klar den Trend zu wach­sen­der Eigen­ver­ant­wor­tung für die Pati­en­ten, etwa durch ver­än­der­tes Ver­hal­ten im All­tag und eben geziel­te Übungs­pro­gram­me, selbst wie­der mehr zur Ver­mei­dung von Rücken- und Gelenk­er­kran­kun­gen beizutragen.

Kern­spin-Dia­gno­se: «Zwei Drit­tel aller Befun­de sind medi­zi­nisch ohne Bedeutung»
Ortho­pä­den und Unfall­chir­ur­gen ver­wie­sen beim dies­jäh­ri­gen VSOU-Kon­gress auch beson­ders kri­tisch auf die wach­sen­de «Repa­ra­tur­men­ta­li­tät» und über­zo­ge­nes Anspruchs­den­ken man­cher Pati­en­ten. Dazu zäh­le etwa die For­de­rung nach im Ein­zel­fall völ­lig «über­di­men­sio­nier­ten Dia­gno­se­me­tho­den, egal was es kos­tet und wer das bezahlt». Die Ärz­te sei­en dabei dann oft unfrei­wil­lig Puf­fer zwi­schen Pati­en­ten, die Maxi­ma­les for­dern, und den Kran­ken­kas­sen, die vie­le Din­ge ein­fach nicht bezah­len. Gera­de die immer genaue­ren Dia­gno­se­me­tho­den sind nach Erfah­rung der Medi­zi­ner aber auch eine der Ursa­chen für die wach­sen­de Zahl von oft über­flüs­si­gen ortho­pä­di­schen Ope­ra­tio­nen. So zeig­ten Rücken­un­ter­su­chun­gen mit dem Kern­spin­to­mo­gra­phen viel­fach Ver­än­de­run­gen am Rücken, die letzt­end­lich gar nicht Ursa­che vor­han­de­ner Rücken­schmer­zen sei­en. Dabei zeigt die Pra­xis: Zwei Drit­tel der per Kern­spin erkenn­ba­ren Befun­de sind eigent­lich medi­zi­nisch ohne Bedeutung.

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