Nirgends auf der Welt stehen den Gästen so viele Bahnen zur Verfügung wie in der Schweiz. Alte und neue, kleine und grosse, kühne und einmalige. Ihre Geschichte ist auch die Geschichte des Aufstiegs der Schweiz zu einer der beliebtesten Feriendestinationen der Welt.
Wir schreiben das Jahr 1870. Seit einiger Zeit gehört die Schweiz zu den bevorzugten Reisezielen der vermögenden Eliten Europas. Für die meisten Besucher steht das Bergerlebnis zuoberst auf der Wunschliste, eine Gipfelbesteigung gilt als Krönung jeder Schweizer Reise. Doch nicht alle Touristen wollen oder können die Strapazen eines Aufstiegs aus eigener Kraft auf sich nehmen. Und so beginnen sich viele Ingenieure der Frage zu widmen, wie man Berge mechanisch erschliessen könnte. Im Zuge des rasanten technischen Fortschritts um 1870 schiessen fantastische Projekte wie Pilze aus dem Boden. Die Vorschläge reichen von kühnen Eisenbahnen bis zu Kabinen, die an Seilen hängen und von Luftballonen emporgezogen werden sollen. Doch die Technik ist unausgereift und hinkt den hochfliegenden Plänen hinterher. Niklaus Riggenbach lässt sich davon nicht entmutigen. Der gebürtige Elsässer, Chef der Centralbahn-Hauptwerkstätte in Olten, ist nicht bloss ein Visionär, er ist auch ein Macher. Da normale Lokomotiven bei einer Steigung von mehr als zehn Prozent ins Gleiten kommen, entwickelt Riggenbach ein neuartiges Antriebssystem: Ein unter der Lokomotive angebrachtes Zahnrad soll in eine am Boden befestigte Zahnschiene greifen und so wesentlich steilere Strecken ermöglichen. Das entsprechende Patent reicht er, da ihm die Schweizer Behörden die kalte Schulter zeigen, 1863 in Paris ein. Zwar kommen ihm die Amerikaner zuvor und nehmen 1869 am Mount Washington die erste touristische Zahnradbahn der Welt in Betrieb. Doch im gleichen Jahr beginnt Riggenbach mit dem Bau einer Bahn auf die Rigi, den zu jener Zeit touristisch wichtigsten Berg der Schweiz. Und dies zu einer Zeit, als sich der Gotthard bloss mit Kutschen befahren lässt, das Auto noch gar nicht erfunden ist und die Schweiz auf ihr erstes Elektrizitätswerk wartet.
REKORDE UND KURIOSITÄTEN
Auch bei den Standseilbahnen beginnt die Entwicklung zunächst im Ausland. 1845 an den Niagara-Fällen in den Vereinigten Staaten, 1862 in Lyon, 1870 in Budapest, 1873 bei der Cable Car in San Francisco.
Die erste Standseilbahn der Schweiz verkehrt ab 1877 zwischen Ouchy und dem Bahnhof von Lausanne. Zwei Jahre später geht die Giessbachbahn am Brienzersee in Betrieb; 1886 jene von der Luganeser Altstadt zum Bahnhof, die heute gegen drei Millionen Passagiere pro Jahr befördert, so viele wie keine andere Bergbahn der Schweiz. Ab 1888 verkehrt eine Bahn von Kehrsiten auf den Bürgenstock, die erste mit elektrischem Antrieb. Wie steil eine Standseilbahn fahren kann, zeigt sich dann 1890 am San Salvatore bei Lugano: 60 Prozent Gefälle sind damaliger Weltrekord.
Beim Bau der grossen Wasserkraftwerke kommen ebenfalls Standseilbahnen zum Einsatz. Einige davon stehen später den Touristen offen – wie die Ritómbahn im Tessin (1921), die mit fast 88 Prozent Neigung bis 1999 als steilste öffentliche Standseilbahn der Welt gilt –, was viele Benutzer dazu verleitet, eher mucksmäuschenstill im Wageninnern zu sitzen, als aus den Fenstern in die gähnende Tiefe zu schauen. Noch steiler ist die Gelmerbahn im Grimselgebiet, die seit 2001 für Publikumsfahrten zugelassen ist: Mit einer Maximalsteigung von 106 Prozent erinnert sie fast schon an eine Achterbahn. Mitte der 1930er-Jahre zählt das Land mehr als 50 Standseilbahnen, die aber plötzlich von den aufkommenden Luftseilbahnen bedrängt werden, die noch steilere und kostengünstigere Erschliessungen erlauben. Erst 1980 kommt die gute alte Standseilbahn wieder zu Ehren – in Zermatt, mit einer hochmodernen, unterirdischen Verbindung ins Skigebiet Sunnegga. Bald folgen die Metro Alpin in Saas Fee, die höchste Standseilbahn der Schweiz, und weitere Anlagen. Zudem sind seither zahlreiche alte Bahnen erneuert worden. Die einst totgesagte Schienentechnik erlebt eine Renaissance – nicht zuletzt dank hoher Transportkapazitäten, einer gegenüber Luftseilbahnen geringeren Windanfälligkeit und dem oft besseren Komfort. Heute sind in der Schweiz nahezu 60 Standseilbahnen in Betrieb. Die längste befindet sich, nebenbei noch vermerkt, zwischen Sierre und Montana und weist eine Strecke von 4,2 Kilometern auf. Den grössten Höhenunterschied schafft die Berner Niesenbahn, ganze 977 Meter in einem Zug. Und die einzige noch existierende Bahn nach dem einst beliebten Wasserballast-System ist die Funiculaire von Freiburg: Die Kabine bei der Bergstation wird jeweils mit Wasser beladen, damit sie bei der Talfahrt alleine durch ihre Schwerkraft die Talkabine hochziehen kann.
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Der Matterhorn Glacier Ride ist die höchste 3S-Bahn der Welt. Ein ganz besonderes Highlight der im Herbst 2018 eröffneten Bahn sind die vier exklusiven mit Swarovski- Kristallen besetzten Crystal Ride-Kabinen. Ihr eigentliches Geheimnis lüften sie nach rund drei Minuten Fahrt; wenn sich ihr verdunkelter Glasboden plötzlich klärt und die spektakuläre Sicht auf die 170 Meter tiefer gelegene Gletscherlandschaft freigibt. Ein Top-Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen darf.
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Es stampft, dampft, quietscht und qualmt was das Zeugs hält. Die einzige Schweizer Zahnradbahn mit täglichem Dampfbetrieb begeistert seit 1892. Steigen Sie ein, die Brienz Rothorn-Bahn bringt auch Sie auf die Höhe (2350 M.ü.M.)
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Die CabriO-Bahn auf das Stanserhorn (1900 M.ü.M.) ist die weltweit erste Seilbahn mit einem offenen Oberdeck. Der komfortable «Doppeldecker» ist eine absolute Neuheit in der Seilbahntechnik. Die untere Etage (weitgehend verglast) bietet Platz für 60 Personen. Inwendig angeordnet führt eine elegante Treppe auf das Sonnendeck hinauf. Dieser erste Stock ist nach oben komplett frei und hat Platz für rund 30 Personen. Die Fahrgäste geniessen auf der Fahrt einen Rundblick und spüren den frischen Wind hautnah. Beide Kabinen pendeln auf zwei nebeneinanderliegenden Tragseilen.
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Die Standseilbahn von Schwyz nach Stoos ist die steilste der Welt. Ein technisches Wunderwerk, das bereits die Anreise zum Erlebnis macht. Angekommen auf dem Stoos eröffnet sich den Gästen ein Aussichts- und Ferienparadies im Sommer wie im Winter. Oben gibt’s Hotels (Tipp: Wellnesshotel Stoos), Bike- und Wandertouren mit fantastischer Fernsicht (Klingenstock und Fronalpstock).
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Mit der steilsten Zahnradbahn der Welt (Neigung 48 Prozent) auf den Pilatus. Anreise-Tipp: Mit dem Schiff von Luzern nach Alpnachstad, mit der Zahnradbahn auf den Pilatus und mit den Luftseilbahnen wieder runter nach Kriens.
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Von Miglieglia aus führt eine moderne Seilbahn die Hänge des Monte Lema hinauf und bringt die Besucher in nur 10 Minuten auf den Gipfel. Entlang der Strecke kann man in der Luft schwebend eine atemberaubende Aussicht geniessen, die bis ins Unendliche zu reichen scheint.
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Die Jungfraubahn führt seit August 1912 von der Kleinen Scheidegg durch Eiger und Mönch bis auf das Jungfraujoch mit der höchsten Eisenbahnstation Europas (Tunnelstation, 3454 M.ü.M.) und überwindet auf einer Länge von 9,34 Kilometern fast 1400 Höhenmeter. Etwas mehr als sieben Kilometer der Strecke liegen im Tunnel.
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Mit der top-designten Luftseilbahn Dragon Ride von Kriens (via Fräkmüntegg) auf den Pilatus (2128 M.ü.M.)
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Wer den ultimativen Nervenkitzel sucht, findet ihn auf der Gelmerbahn. Eine Steigung von maximal 106 Prozent macht sie unbestritten zur steilsten, offenen Standseilbahn Europas. Die einstige Werkbahn für den tonnenschweren Transport von Baumaterial ist heute für abenteuerlustige Wanderer offen und bringt sie im Nu vom Tal auf 1860 Meter über Meer. Die Gelmerbahn ist ein Wunderwerk der Technik und bietet ein unvergessliches Erlebnis in der Fast-Senkrechten. Oben lockt der türkisfarbene Gelmersee für eine Umrundung, und die Gastfreundschaft der Gelmerhütte.
Bilder: © swiss-image.ch
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