Weder jung noch alt – im Job ers­te Ver­schleiss­an­zei­chen: Das fünf­zigs­te Alters­jahr bringt vie­le ins Grü­beln. Mit Mut und Wis­sen um die eige­nen Stär­ken und mit Behar­rungs­ver­mö­gen gelingt der per­sön­li­che Turnaround.

Die Agen­da lich­tet sich peu à peu. Im neu­en Leben der Moni­ka Ribar gibt es plötz­lich wie­der Platz für Din­ge, die bis vor ein paar Mona­ten nahe­zu unmög­lich waren: ein Mit­tag­essen mit dem Vater an einem gewöhn­li­chen Werk­tag zum Bei­spiel oder ein paar ent­spann­te Tage im Feri­en­haus in Süd­frank­reich. Im Mai 2013 trat die Mana­ge­rin von ihrer Posi­ti­on als CEO bei Panal­pi­na zurück – nach sie­ben Jah­ren auf obers­tem Füh­rungs­le­vel und nach 23 Jah­ren Kar­rie­re beim Logis­tik­rie­sen. Seit­her hat das Tele­fon ein paar Mal geklin­gelt. «Ich habe diver­se inter­es­san­te Ange­bo­te erhal­ten, dar­un­ter auch Mög­lich­kei­ten auf ope­ra­ti­ver Ebe­ne», sagt Ribar. Doch die 54-Jäh­ri­ge mag nicht zurück­keh­ren ins enge Kor­sett der Cor­po­ra­te World mit hoher Sit­zungs­ka­denz, Rei­sen, Bespre­chun­gen und einer 140-Pro­zent-Prä­senz. Mehr Zeit für sich selbst will sie haben und eine Agen­da, die sie sel­ber steu­ern kann. Des­halb kon­zen­triert sich Moni­ka Ribar nun auf eine Kar­rie­re als Ver­wal­tungs­rä­tin, wo die Anfor­de­run­gen in den letz­ten Jah­ren eben­falls zuge­nom­men haben. Zu ihren drei Man­da­ten bei Swiss, Logi­tech und Sika sol­len wei­te­re dazu­kom­men. Für die Top­ma­na­ge­rin ist dies der logi­sche Schritt in einem radi­kal ver­än­der­ten Arbeits­le­ben. «Eine Kar­rie­re dau­ert heu­te län­ger und ist deut­lich inten­si­ver. Das zwingt einen dazu, die Alters­pha­se zwi­schen 50 und 60 bewuss­ter zu gestalten.»

Das woll­te auch Wolf­gang Schan­zen­bach. Fast sein gan­zes Berufs­le­ben stand der 56-Jäh­ri­ge im Diens­te der DKSH Hol­ding, zuletzt in Japan. Er führ­te pha­sen­wei­se 1000 Leu­te, ver­ant­wor­te­te 750 Mil­lio­nen Fran­ken und leb­te das gut gepols­ter­te Leben eines Expats. Mit 54 kam der Wunsch nach Ver­än­de­rung. «Ich kam in eine Sinn­kri­se, woll­te die­ses durch­ge­tak­te­te Leben mit 14-Stun­den-Tagen und Busi­ness­rei­sen über die Zeit­zo­nen hin­weg nicht mehr füh­ren.» Schan­zen­bach kün­dig­te bei DKSH in Freund­schaft, sag­te Japan Sayo­n­a­ra und begab sich in sei­ne Hei­mat auf Stel­len­su­che. Sechs Mona­te und 20 Absa­gen spä­ter fand der Mitt­fünf­zi­ger eine neue, span­nen­de Auf­ga­be. Seit­her ver­ant­wor­tet er bei der Switz­er­land Glo­bal Enter­pri­se (SGE, ehe­mals Osec) die Regi­on Asi­en – Pazi­fik. Lebens­qua­li­tät und Spass­fak­tor sind seit­her zurück.

Aus­bre­chen aus dem Hams­ter­rad, ein selbst­be­stimm­te­res Leben füh­ren, viel­leicht sogar noch­mals etwas kom­plett Neu­es anfan­gen – davon träu­men vie­le in der Lebens­mit­te. Vor allem der fünf­zigs­te Geburts­tag wirkt immer häu­fi­ger als Kata­ly­sa­tor für eine Standortbestimmung.

Die Psy­cho­lo­gin Pas­qu­ali­na Per­rig spricht von der «Radi­ka­li­tät des Null­punkts», der mit 50 erreicht wird. Man ist defi­ni­tiv nicht mehr jung, aber noch weit weg vom Senio­ren­sta­tus. Die Pha­se zwi­schen 50 und 60 – sozu­sa­gen alters­po­li­ti­sches Nie­mands­land – erhält einen neu­en Dreh. «Noch vor 30 Jah­ren war 50 das Alter für den all­mäh­li­chen Rück­zug. Gegen­wär­tig sind Frau­en und Män­ner an einem ganz ande­ren Ort», sagt Pas­qu­ali­na Per­rig, die an der Uni Bern zum The­ma Lebens­mit­te forscht. Die Arbeits­kraft habe sich inner­halb einer Gene­ra­ti­on qua­si um zehn Jah­re ver­jüngt, so die Exper­tin. «50, so könn­te man sagen, ist das neue 40.»

«Mit 50 gelan­gen vor allem Män­ner an einen Punkt, wo sie sich ver­mehrt Gedan­ken über den Inhalt ihrer Auf­ga­be und ihre Res­sour­cen machen», beob­ach­tet der Zür­cher Head­hun­ter San­dro Gia­nella (53). Sich sel­ber nimmt er nicht aus. Exakt zum 50. Geburts­tag mach­te sich der Unter­neh­mer ein Geschenk der imma­te­ri­el­len Sor­te: Er ver­ord­ne­te sich jähr­lich fünf Wochen Som­mer­fe­ri­en. Wäh­rend zwei­er davon ist die Fir­ma Knight Gia­nella geschlos­sen. Feri­en für das gan­ze Team sind angesagt.

Ein Novum in sei­ner 26-jäh­ri­gen Kar­rie­re als Kopf­jä­ger. «Zuerst mach­ten Kun­den und Bekann­te Wit­ze über mei­ne lan­ge Som­mer­pau­se. Heu­te geste­hen mir die­sel­ben Leu­te, dass sie sich das eigent­lich auch ger­ne leis­ten wür­den», so Gia­nella. Er geniesst es, sich aus dem Busi­ness­all­tag mit getak­te­tem Ter­min­ka­len­der her­aus­zu­neh­men, um für sich Frei­räu­me und Zeit zur men­ta­len Rege­ne­ra­ti­on zu schaf­fen. «Mit 53 habe ich das Gefühl, ich müs­se nicht mehr jedem Mist hin­ter­her­ren­nen und mich für nicht ziel­füh­ren­de Bespre­chun­gen miss­brau­chen las­sen», meint er. «Ich ach­te pein­lichst auf ein Höchst­mass an Pro­fes­sio­na­li­tät und Effi­zi­enz.» Als Ver­mitt­ler von Top-Füh­rungs­kräf­ten weiss er, dass es sei­nen Kli­en­ten ähn­lich geht. «Die Fra­ge, was Erfolg bedeu­tet, rückt in den Vordergrund.»

Es ist kein Zufall, dass sich in letz­ter Zeit meh­re­re Mana­ger aus der A‑Liga bereits in den Fünf­zi­gern für den Wech­sel auf die VR-Stu­fe ent­schie­den haben: Luft­han­sa-Chef Chris­toph Franz (53) über­nahm 2014 das Roche-Prä­si­di­um, Shell-Chef Peter Voser (55) zog sich im glei­chen Jahr zurück und will sich auf VR-Ämter und Fami­lie konzentrieren.

Die Selbst­mor­de von Swiss­com-CEO Cars­ten Schlo­ter (49) und «Zürich»-Finanzchef Pierre Waut­hi­er (53) las­sen man­chen Mana­ger in der Lebens­mit­te sin­nie­ren: Was fehl­te die­sen Cor­po­ra­te-Cracks, die sich so sehr über ihren Job defi­nier­ten? Soll­te ab 50 die Balan­ce nicht bes­ser gepflegt werden?

Der Reiz des Down­s­hif­tings, etwa per Ver­la­ge­rung auf VR-Man­da­te, ist offen­sicht­lich: Die Pace geht run­ter, das Pres­ti­ge bleibt, und die Hono­ra­re auf die­ser Stu­fe sind attrak­tiv: «Heu­te ist die Ver­wal­tungs­rats­tä­tig­keit für Top­ma­na­ger eine ech­te Alter­na­ti­ve zur ope­ra­ti­ven Tätig­keit», sagt San­dro Gianella.

Heinz Kar­rer ist ein wei­te­res Bei­spiel: Mit dem Wech­sel ins Prä­si­di­um der Eco­no­mie­su­is­se eröff­ne­ten sich für den 54-Jäh­ri­gen neue Per­spek­ti­ven. Er kam aus dem durch­ge­tak­te­ten Leben des Axpo-CEO her­aus und erhielt mehr Gestal­tungs­spiel­raum für VR-Ämter. Mit der Mar­ke 50 habe sein Move aber wenig zu tun: «Es tut mir leid, aber ich kann nicht die­nen mit dem viel beschwo­re­nen per­sön­li­chen Knick, der sich um 50 ein­stel­len soll.»

Nicht jeder kann es sich erlau­ben. Längst nicht jeder, der aus dem Hams­ter­rad aus­bre­chen möch­te, kann sich das finan­zi­ell leis­ten. Midd­le-Mana­ger wer­den kaum mit Ange­bo­ten überflutet.

«Don’t worry, be fif­ty» – für das per­sön­li­che Chan­ge-Pro­jekt taugt der Slo­gan nur bedingt. Rund ein Drit­tel der Job­ab­sa­gen bekam Wolf­gang Schan­zen­bach wegen sei­nes Alters, schätzt er. Auch die fort­ge­schrit­te­ne Aka­de­mi­sie­rung drängt Leu­te wie Schan­zen­bach, der in jun­gen Jah­ren eine Han­dels­schu­le absol­vier­te, in der Welt der Gross­kon­zer­ne all­mäh­lich an den Rand.

In die­ser Situa­ti­on kön­nen wech­sel­wil­li­ge Fünf­zig­jäh­ri­ge nur mit ihrer Erfah­rung, Soft Skills und einem smar­ten Auf­tritt punk­ten, und das hat im Fall Schan­zen­bach Wir­kung gezeigt. «Wir ach­ten bei der Diver­si­ty nicht nur auf die Gen­der­fra­ge, son­dern auch auf die Alters­durch­mi­schung», sagt Deni­se Mül­ler, Lei­te­rin HR bei Switz­er­land Glo­bal Enterprise.

Gera­de in der Bera­tung sei die Lebens­er­fah­rung ent­schei­dend für den Erfolg. Ein KMU, das nach Chi­na expan­die­ren möch­te, will sich nicht von einem 30-Jäh­ri­gen bera­ten las­sen. Erfah­rung als Asset – dar­auf setzt auch der Out­pla­ce­ment­be­ra­ter und pro­mo­vier­te Neu­ro­psy­cho­lo­ge Toni Nadig. Er ist Co-Autor eines Buches über die beruf­li­che Neu­ori­en­tie­rung mit über 50 und ist über­zeugt: «Dass man ab 50 abge­schrie­ben ist auf dem Arbeits­markt, ist ein Kli­schee.» Die Schweiz sei im inter­na­tio­na­len Ver­gleich sogar im vor­de­ren Drit­tel punk­to Beschäf­ti­gung von Älte­ren, meint der Fach­mann, der vor kur­zem einen 58-jäh­ri­gen Kun­den hat­te, der bei der CS als Lea­sing-Spe­zia­list Unter­schlupf fand.

Tat­säch­lich zei­gen die Sta­tis­ti­ken kei­ne kras­sen Anoma­lien für die über 50-Jäh­ri­gen. Die Beschäf­ti­gungs­quo­te der 55- bis 64-Jäh­ri­gen liegt in der Schweiz mit 70 Pro­zent im OECD-Ver­gleich sehr hoch.

Der Anteil der über 50-Jäh­ri­gen an den Arbeits­lo­sen lag in der Schweiz im Sep­tem­ber 2014 bei 23,2 Pro­zent, wäh­rend der Löwen­an­teil, näm­lich 61,4 Pro­zent, auf die 25- bis 49-Jäh­ri­gen fiel. Dass die Schweiz eine hohe Erwerbs­be­tei­li­gung von Älte­ren hat, ist ein Vorteil.

«Eine hohe Arbeits­markt­be­tei­li­gung der älte­ren Gene­ra­ti­on erleich­tert die Finan­zie­rung der Sozi­al­wer­ke, weil die­se über län­ge­re Zeit Lohn­bei­trä­ge ent­rich­tet und spie­gel­bild­lich über kür­ze­re Zeit Ren­ten bezieht», schrei­ben die Exper­ten in der Sep­tem­ber-Aus­ga­be der «Volks­wirt­schaft».

Das Poten­zi­al der 55- bis 64-Jäh­ri­gen sei aber hier­zu­lan­de prak­tisch aus­ge­schöpft, heisst es. Die Quo­te lässt sich kaum noch erhö­hen. Auch zei­gen die Zah­len, dass Alter nicht mehr per se vor Ent­las­sung schützt. Die Grup­pe der 50- bis 54-jäh­ri­gen ent­las­se­nen Mana­ger etwa hat laut den Sta­tis­ti­ken der Out­pla­ce­ment­grup­pe Grass & Part­ner letz­tes Jahr von 12 auf 24 Pro­zent zugenommen.

Die­se Alters­grup­pe hat auch län­ger, bis sie wie­der eine Stel­le fin­det. Toni Nadig sagt: «In die­sem Alter bestimmt der Mind­set über den Erfolg auf dem Arbeits­markt.» Man müs­se sei­ne Fähig­kei­ten exakt ken­nen und die­se punkt­ge­nau und ohne fal­sches Under­state­ment verkaufen.

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